Vobildeinrichtung Naëmi-Wilke-Stift

2021 hat sich die Stadt Guben auf den Weg gemacht, um eine Smart City zu werden. Mithilfe digitaler Anwendungen, innovativer Technologien und Ideen soll die Stadt auch in Zukunft lebens- und liebenswert sein. Damit schlägt die Stadt keinen gänzlich neuen Weg ein. Einige Gubener Einrichtungen sind längst unterwegs in eine smarte Zukunft. Sie nehmen eine Vorbildrolle für Smart City ein. Zwei dieser Einrichtungen möchten wir Ihnen genauer vorstellen. Wir fahren fort mit dem Naëmi-Wilke-Stift und einem Interview mit Rutker Stellke. Er ist Facharzt für Anästhesiologie, Chefarzt Telemedizinische Systeme und Leiter Notfallzentrum.


Portraitfoto Herr Stellke

Warum hat sich das Naëmi-Wilke-Stift dazu entschieden digitale Lösungen im Bereich der Telemedizin einzusetzen?

Aktuell steht die Medizin in Deutschland vor der Herausforderung eines grundlegenden Wandels der Art und Weise wie medizinische Versorgung im Rahmen der Daseinsvorsorge zukünftig stattfinden wird. Damit muss sich auch die Organisationsform ändern. Hintergrund dieser anstehenden - durchaus dramatischen – Veränderungen ist die in den letzten Jahrzehnten rasante Entwicklung der medizinisch-technischen Versorgungsmöglichkeiten. Hinzu kommt die Veränderung der Bevölkerungsstruktur. Die Gruppe der versorgungsbedürftigen Menschen mit einer wachsenden Lebenserwartung wird immer größer. Im diametralen Gegensatz dazu stehen die personellen Ressourcen, welche für die Erbringung der notwendigen Versorgungsleistungen benötigt werden. Diese Gruppe unterliegt derzeit einem dramatischen Rückgang.

Digitalisierung ist eine Schlüsseltechnologie geworden, welche in den letzten Jahren in allen Lebensbereichen eine führende Bedeutung erlangt hat.

Die Technik selbst ist längst in der Lage, mit sinnvoller Anwendung kombiniert, einen Beitrag zur  Verbesserung unserer zunehmenden Ressourcenprobleme zu leisten. Für den unmittelbaren Versorgungsauftrag sehen wir daher einen innovativen Lösungsansatz im Einsatz von telemedizinischen Anwendungen. Dies dient nicht dem Ersatz, sondern der Unterstützung der Aufgaben unserer Mitarbeitenden.

Was sind die Erwartungen der Projektverantwortlichen und der Mitarbeitenden?

Die Projektverantwortlichen erwarten, dass sich durch den Einsatz der Technik qualitätssichernde Mehrwerte ergeben, was letztlich auch für die Patienten ein sicherheitsrelevanter Mehrwert ist. Nach der Etablierung und Gewöhnung an die neue Arbeitsweise, sollte auch eine Absenkung von Stressfaktoren möglich sein.

Wir möchten außerdem über eine Netzwerkbildung schrittweise das Angebot niedrigschwelliger Gesundheitsversorgungsmöglichkeiten fachlich verbreitern. Dazu gehört beispielsweise die Strategie „hospital-at-home“. D.h.: Der Patient kann früher in die eigene Häuslichkeit entlassen werden, bleibt aber dank der telemedizinischen Technik in unserer medizinischen Obhut. Das entlastet das Krankenhaus und führt zu einer Verbesserung der Lebensqualität der betroffenen Patienten. Wer ist nicht lieber in seinem eigenen Zuhause, als in einem Krankenhauszimmer.

Gibt es Bedenken der Mitarbeitenden?

Die sind einfach zu beschreiben:  „Ob das wohl in der praktischen Umsetzung funktioniert?“

Wie gestaltete sich die Einführung der digitalen Anwendungen?

Wir kommen gut voran. Aber wie bei jedem neuen Weg, welcher erst „getreten“ werden muss, ist es eine Kraftanstrengung. Es bedarf Überzeugungskraft und viel guten Zuredens. …und es geht nie so schnell, wie man es sich erträumt und wünscht.

Wie sind die bisherigen Erfahrungswerte mit Angeboten der Telemedizin?

Teleradiologie gibt es bei uns in Zusammenarbeit mit der Radiologie des Carl Thiem Klinikums schon seit Jahren. Für die Patienten ist dieser Hintergrund gar nicht wahrnehmbar, funktioniert jedoch gut.

Frisch eingeführt im realen Dienstbetrieb ist die telemedizinische Unterstützung der ärztlichen Bereitschaftsdienste. D.h.: Der diensthabende Arzt kann parallel zu seiner Untersuchung einen externen Arzt hinzuziehen. Technologisch läuft alles sehr gut, für alle praktisch damit beschäftigen Mitarbeitenden ist die Anwendung noch keine Routine und muss eingeübt werden.

Welche Ansätze verfolgt das Naëmi-Wilke-Stift in Hinblick auf die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung und wie sind die Erfahrungen hier?

Dies ist ein so wünschenswertes wie gleichzeitig schwieriges Thema. Die lokalen und regionalen politischen Ebenen der Städte Guben und Gubin bzw. der grenzanliegenden Landkreise und Wojewodschaften sind einig in dem Wunsch, hier eine weitere Entwicklung zu gestalten. Neben der Absicherung einer zeitnahen Erstversorgung bei Notfällen (grenzüberschreitender Rettungsdienst), spielt auch die Facharztversorgung im ambulanten Bereich von deutschen und polnischen Bürgerinnen und Bürgern eine zunehmend wichtige Rolle.

Das Thema grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung ist allerdings eines der wirklich „großen“ politischen Themen. Gesundheitspolitik wird in Polen im nationalen Rahmen zentral gesteuert. In Deutschland sind Bund und Ländern daran beteiligt. Als weitere Steuerungsgröße spielt dann noch die EU eine begleitende und unterstützende Rolle. Innerhalb dieser Konstellation gibt es gemeinsame Formate wie bspw. die INTERREG Projekte. Hier wird von den Protagonisten intensiv an Verbesserungskonzepten „gefeilt“. Der Aufbau und die Pflege von grenzüberschreitenden Netzwerken machen Fortschritte möglich. Alle Beteiligten sind sich einig in der Einschätzung, dass wir uns dabei geduldig in kleinen Schritten in die richtige Richtung bewegen.

Sind weitere digitale Anwendungen in Planung – wenn ja, welche?

Es geht nicht alles gleichzeitig und wer den dritten Schritt versucht, bevor er den ersten erfolgreich gesetzt hat, der fällt meistens auf die Nase.

Wir haben ein hohes Interesse daran, dass die Konzepte, die wir für eine Basis der zukünftigen Versorgungsstrukturen halten, nicht durch Implementierungsfehler scheitern. Wir verfolgen durchaus mehrere Ansätze zeitgleich und versuchen nicht zuletzt passende Partner zu finden. Netze werden erst durch Knoten stark und tragfähig. Die Stärke telemedizinischer Anwendungen in der Zukunft wird sich daraus ergeben, dass sich viele an der medizinischen Versorgung beteiligte Partner in dieses Netz einbringen.

Bei den eigenen Anwendungen gehen wir kontinuierlich, aber auch sorgsam voran; letztlich ergibt sich der Mehrwert der schönsten Technik erst aus der Anwendung durch unser Fachpersonal. Dieses unterliegt höchsten Alltagsanforderungen und so ist es sinnvoll, hier die Schritte nacheinander zu setzen, um Überforderung vorzubeugen.

Was würde das Naëmi-Wilke-Stift anderen Gubener Einrichtungen mitgeben, die sich ebenfalls auf den Weg in eine smarte und digitale Zukunft begeben möchten?

Diese Kollegen würde ich gerne gewinnen wollen mit einer Reflexion zu zwei Zitaten, welche ich von zwei sehr renommierten und seit vielen Jahren mit der Entwicklung bzw. Forschung zu telemedizinischer Anwendung beschäftigten Kollegen „einsammeln“ konnte:

„Es geht nicht um die Konkurrenz von Mensch und Maschine – sondern um das TEAM Mensch und Maschine, das dem Einzelnen immer überlegen ist!“

Prof. Dr. David Matusiewicz, Professor für Medizinmanagement

„Die Lebensrealität jüngerer Ärzte-Generationen ist digital – nicht mehr Papier-basiert.“

Dr.med. Anke Diehl, Chief Transformation Officer Universitätsklinikum Essen – SmartHospital.NRW

Für mich heißt das: wer die zukünftige medizinische Versorgung – insbesondere im ländlichen Bereich – sichern möchte und Verantwortung für diese übernommen hat, der hat kein Recht zögerlich zu verwalten, sondern muss mit Engagement, offenem Blick für die Realität  sowie sehr viel Mut und gelegentlich auch Risikobereitschaft den Prozess gestalten!

Wenn wir wollen, dass nachfolgende Generationen keine Wüste in Sachen medizinischer Daseinsvorsorge vorfinden und auch selbst bereit sind, die dafür notwendigen Aufgaben zu übernehmen, dann ist es unsere Verantwortung ihre zukünftigen Arbeitsplätze so zu gestalten, dass ihnen diese Arbeit auch zusagt und sie diese gerne übernehmen. Die Lebensrealität jüngerer Ärzte und Ärztinnen ist digital und so ist es unsere Pflicht, die Digitalisierung in den Arbeitsprozessen und die Integration von Telemedizin innovativ voranzutreiben!

Das Smart City Team bedankt sich bei Herrn Stellke und der Pressestelle des Naëmi-Wilke-Stifts für die Zeit, die Sie sich genommen haben, um unsere Fragen zu beantworten.


Auch Sie haben bereits Erfahrungen mit digitalen (smarten) Anwendungen? Dann schreiben Sie uns über das untenstehende Kontaktformular oder rufen Sie uns an: 03561 – 6871 1046

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